Interview mit Gerhard Sihler v. Columbus

Auf dem Staufenhaus gibt es seit geraumer Zeit einen wunderschönen hinterleuchteten Schaukasten, in dem sich graphisch aufbereitet die Mitglieder aller Bierfamilien bis zu den Gründerburschen zurückverfolgen lassen – bis auf eine Ausnahme – der größte noch lebende Ast des Stammbaums endete bei unserem BB Zello, der zu dieser Bierfamilie gehörende Gründerbursche war unbekannt. Diese Lücke wollten wir nun endlich mal schließen. Bei den dazu erforderlichen Recherchen hatte ich seit längerer Zeit wieder einmal Kontakt zu unserem in Vermont/USA lebenden BB Columbus. Sicher für viele von uns interessant, wie er zu seinem Kneipnamen kam.

Columbus: Ein Jahr nach meiner Lehre als Maschinenschlosser bei der ME (Maschinenfabrik Esslingen) habe ich am 3.Sept.1953 meinen 20.Geburtstag auf der Andrea Doria (Flagship der Italien Line) auf dem “Weg” nach den USA/New York gefeiert. Ein Fulbright Stipendium hatte mir nämlich ein Austauschstudium an der Universität von Wisconsin in Madison ermöglicht. Wirtschaftskunde und “Political Science waren dort die mich besonders interessierenden Fächer. Dabei lernte ich auch den “berüchtigten” Senator Joe McCarthy kennen, der mir zu einer 3-monatigen Visa-Verlängerung verholfen hat. Ich wollte einfach noch etwas vom Leben außerhalb der Studentenunterkünfte kennenlernen.

Remis: Wieso und von wem bekamst du das Austausch-Studium finanziert und was hatten die Studieninhalte mit deiner Lehrlingsausbildung zu tun?

Columbus: Der Studienaustausch wurde von der HICOG zwischen Amerika und Deutschland organisiert. Das amerikanische Außenministerium hatte damals 21 junge Leute als „Industrial Relations Trainees“ aus ganz Deutschland eingeladen, um an der Staatsuniversität Wisconsin für zwei Semester “Industrial Relations“ zu studieren, damit wir uns an Ort und Stelle mit amerikanischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeziehungen vertraut machen können. Dadurch sollten Ratschläge vermittelt werden, die dann später zum Wohl der deutschen Industrie am jeweiligen Arbeitsplatz verwendet werden können. Möglicherweise wurde ich für den Studien-Austausch ausgesucht, weil ich mich während meiner Lehrlingsausbildung auch gesellschaftlich stark engagiert habe – sowohl als Obmann im Lehrlingswohnheim auf dem Zollberg als auch bei der ME als Jugendleiter der 200 ME-Lehrlinge. In Baltmannsweiler war ich 1948 Mitbegründer des späteren 3-fachen Weltmeister-Akkordeonorchesters der Amateure und in Esslingen gründete ich mit Gotthilf Fischer den Jugendchor der ME, der bei den Elternabenden immer guten Anklang fand – auch bei Frau Kessler, der Witwe des Nachfolgers des ME-Gründers, die des öfters Gast bei unseren Jugendgruppen war.

Remis: Wie gings dann weiter?

Columbus: Nach meiner Rückkehr aus den USA Anfang 1954 habe ich zunächst im Vorrichtungsbüro und anderen Abteilungen meiner Lehrfirma Erfahrungen zur Vorbereitung auf ein Studium an der Staatlichen Ingenieurschule zu Esslingen gesammelt. Die ME hat mir dann ein Stipendium der Paul-Reusch-Jugendstiftung zum Studium am “Stall” angeboten, das ich natürlich gern annahm. Nach dem Vorsemester konnte ich 1955 mein Maschinenbau-Studium am ” Stall” beginnen und 1959 als stolzer Ingenieur beenden.

Remis: Wer war Paul Reusch und In welcher Weise hat die Paul-Reusch-Jugendstiftung dein Studium gefördert?

Columbus: Paul Reusch hat seinerzeit an der Technischen Hochschule Hüttenwesen studiert und als Ingenieur abgeschlossen. Er war in der Weimarer Republik einer der wirtschaftlich erfolgreichsten und politisch einflussreichsten Schwerindustriellen, der als Vorstand der Oberhausener Gute Hoffnung Hütte (GHH) die Weichen für die Entwicklung zum modernen und dynamischen Montan- und Maschinenbaukonzern stellte. 1920 übernahm die GHH die Aktienmehrheit an der Maschinenfabrik Esslingen. Aus Anlass seines siebzigsten Geburtstags gründete die GHH 1938 die Paul ReuschJugendstiftung, die dann auch mein Studium finanziell unterstützte.

Remis: Du bist bereits im ersten Semester unserer Verbindung Staufia beigetreten. Warum in die Staufia, warum überhaupt einer Verbindung?

Columbus: Da ich damals als “Kegeljunge” für die AH’s der Staufia im Restaurant “Bahnhöfle” in Mettingen meine Finanzen aufbesserte, war schnell klar, dass mein nächster Schritt als Student der Eintritt in die Staufia ist. Dort bin ich bald zum Fuchsmajor “aufgestiegen” und war zusammen mit BB Nauke sowohl Mitbegründer der Staufenrunde als auch Mitbegründer der Staufenkegler, denen ich bis zum Ende vor zwei Jahren bei meinen jährlichen Deutschlandreisen treu geblieben bin.

Remis: Damit ist wohl klar, warum dein Biervater dir den Kneipname Columbus verpasst hat.

Columbus: Der Staufia verdanke ich unheimlich viel, auch die neuerliche Verbindung zu den USA. Ich war nach dem Studium zunächst 4 Jahre Betriebsassistent bei Firma Pebra in Altbach, kam dann aber zurück zur ME. Bei deren Übernahme durch Daimler-Benz wurde ich dann Oberingenieur für Sonderaufgaben und Assistent des neuen Technischen Vorstands. Durch die Vermittlung unseres leider verstorbenen BB Wolfgang Peiseler v. Wölfle (Leibfuchs von BB Wolf) bekam ich 1967 ein Angebot einer Importfirma für Europäische Werkzeugmaschinen aus White Plains, N.Y. Nach deren Einladung zur internationalen Werkzeugmaschinenmesse in Chicago und dem Besuch der Weltausstellung in Montreal, ließ ich mich 1968 für 3 Jahre von Daimler-Benz “beurlauben” um diesen Job bei der AUSTIN Industrial Corporation anzunehmen. Den Ausschlag, das Angebot anzunehmen gab die Fa. Hüller in Ludwigsburg, die von diesem Handelshaus vertreten wurde. Weitere vertretene Firmen waren u.a. G. Boley aus Esslingen, SAIO aus Schweden, Kugelmüller aus Nürnberg, Tachella aus Italien und einige mehr. Als Verkäufer europäischer Präzisions-Werkzeugmaschinen lernte ich auf diese Weise sehr schnell viele Kunden und damit auch die “Staaten” kennen.

Remis: Und dann gings zurück in Richtung Heimat?

Columbus: Als die 3 Jahre (Verpflichtung) um waren, wollte meine Familie noch nicht zurück nach Deutschland. Unsere 3 Söhne wollten ihre Schule in USA fertig machen. Auch ich wollte mich verändern, denn ich hatte damals einen unterschriebenen Vertrag als Verkaufsmanager bei einer namhaften Firma in Chattanooga. Mit vollem Verständnis und Unterstützung meiner Chefs in Esslingen haben wir unseren Aufenthalt in USA deshalb noch “etwas” verlängert.
Aber es kam anders. Die seither von mir vertretenen europäischen Firmen wollten mich nicht verlieren, deshalb kaufte die Firma SAJO zwei Jahre später, also 1970, das Handelshaus Austin und bot mir den Job als Präsident an. Ich war zeitgleich dann auch noch Präsident der von uns vertretenen PEBRA Metal Inc und ab 1980 bis 1990 Vice-Präsident der HILMA Corporation. Die neuen SAJO-Besitzer waren damit einverstanden, dass wir die Firma teilten. Ich gründete mit einem Partner aus der Schleiftechnik 1981 die Fa. GTI (Grinding Technology) und blieb bis 1983 Chef der nun umbenannten SAJO CORP.

Remis: Du warst danach eine sehr lange Zeit für die Esslinger Firma Index in den USA tätig. Wie kam es dazu?

Columbus: 1981 traf ich den früheren Technischen Leiter von Hüller während der EMO in Hannover der mich zu “seiner” neuen Firma INDEX nach Esslingen einlud. Herr Eugen Hahn wollte gerne, dass ich in USA eine Tochtergesellschaft gründete, die ich darauf hin 1983 in Shelton, Connecticut ”baute und dort nach etwas Zögern 1984 die Leitung übernahm. Die Jahre bei und mit INDEX waren sehr interessant und erfolgreich und selbst nach meinem offiziellen Ruhestand 1998 blieb ich noch 5 Jahre bis zu meinem 70.Geburtstag als Chairman of the Board und CEO dabei.

Remis: Du blickst nicht nur auf ein sehr erfolgreiches Arbeitsleben zurück, du hast dich in den Staaten auch gesellschaftlich stark engagiert. Während deiner Tätigkeit bei Index hat dich John G. Rowland, der Gouverneur von Connecticut 1998 für dein Engagement im „School-to-Career“ Programm ausgezeichnet, indem er den 6. November 1998 offiziell als GARY SIHLER DAY im Staat Connecticut ausrief und dich zu Doctor of Science honorary causa (Doktor der Wissenschaft Ehrenhalber) des Briarwood College ernannte, wie im damaligen Mitteilungsblatt der Staufia zu lesen war. 2002 würdigte die Shelton High School und später alle möglichen US-Institutionen die Index Corporation und dein Engagement in der School-to-Work Bewegung mit den verschiedensten Auszeichnungen. In welcher Weise habt ihr da Ausbildung angeboten?

Columbus: Ich habe mich von Anfang an sehr mit der Berufsausbildung befasst und hatte in meinen Firmen immer ein School to Work Programm. Facharbeiter wie in Deutschland gibt es in den USA nicht, wir mussten die Leute ja befähigen, die anspruchsvollen Werkzeugmaschinen aus Deutschland zu bedienen. Wir hatten deshalb auch immer Praktikanten aus Europa, USA und Brasilien überall dort, wo Index ein Werk hatte. Umgekehrt gab das von uns unterstütze Eurotech-Programm der Universität von Connecticut vielen amerikanischen Studenten Zugang zu deutschen Firmen und zur deutschen Sprache.

Remis: Du warst und bist auch für viele Staufen eine beliebte Anlaufstelle, wenn es galt, mehr über die USA zu erfahren oder die USA zu besuchen.

Columbus: Staufen waren uns natürlich immer willkommen und haben davon regen Gebrauch gemacht. Unter den Gästen waren z.B. auch die Professoren Schnabel und Graf.

Remis: Du hast auf deinem Berufsweg viele Kontakte gepflegt, mit Politikern, mit Botschaftern, Nativ-Organisationen, Naturschützern, sogar mit dem US-olympischen Komitee. Und dabei jede Menge Auszeichnungen und Würdigungen wie “Board Memberships” und “Assoziations” und “Civic Boards” Zugehörigkeit erfahren. Wozu?

Columbus. Durch meine langjährige Zugehörigkeit zur Industrie – später Wirtschaft – rund in NYC und Washington DC, habe ich nicht nur die Interessen meiner eigenen Unternehmen, sondern auch die des deutschen Maschinenbaus als Ganzes vertreten. Mit dem Eintritt in verschiedene Fachverbände wurde ich bei der amerikanischen Kundschaft und Industrie bekannt und leitete bald verschiedene Komitees. Durch Besuche von VDW/VDMA Vertretern wurden wir zwecks Beratung oder Vertretung in den USA immer wieder von deutschen Firmen angesprochen. Dadurch kam ich in die verschiedensten Aufsichtsgremien

Remis: Was machst du heute?

Columbus: Bis zu meiner endgültigen Pension im Sept. 2003 hatte ich vieles erlebt und verspüre auch jetzt noch keinerlei Langeweile. Viele Aktivitäten habe ich seither zwar aufgegeben, bin aber immer noch beratend tätig. In der Mendon Planning Commission treffen wir uns einmal im Monat und besprechen Baugesuche und Ähnliches und als Mitglied der Mendon Seniors, die ich “einstens” gegründet hatte, planen wir einmal im Monat Ausflüge, Theaterbesuche, Picnics und ähnliche Aktivitäten. Wenn ich heute zurückblicke, so hat die Staufia maßgeblich zu meinem beruflichen Erfolg beigetragen. Das freie Reden, die kameradschaftliche Zusammenarbeit, die Beratung der älteren BB und die lebenslangen Freundschaften, etc., haben ganz bestimmt meine Laufbahn geprägt. Dafür sage ich heute herzlichen Dank und wünsche allen Aktiven die gleichen Möglichkeiten.

Remis: Du warst seither jedes Jahr mindestens einmal in Deutschland und hast Freunde und Verwandte sowie deine alten Staufenkegler und die Staufia besucht. Corona hat das seither verhindert. Sehen wir uns bald mal wieder?

Columbus: Das will ich doch stark hoffen.

 

 

 

 

Eine Antwort

  1. lurchi sagt:

    Danke für diesen tollen Beitrag und die Vervollständigung unseres Staufen Stammbaumes – sehr schön!

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